Die Berner Disputation
Auzug aus dem Referat von Franz Schlachter vom November 1907
„Wir schreiben das Jahr 1528. Von Zofingen her nahen sich am 6. Januar Geistliche aus Zürich, Schaffhausen, St. Gallen, Konstanz, Ulm und Augsburg, die sich bereits am Neujahrstag in Zürich sammelten um am 7. Januar in Bern an der grossen Konferenz, der Berner Disputation, teil zu nehmen. 350 Geistliche, allen voran Zwingli, Bullinger, und Pellikan, aber auch viele Bürgerliche, darunter auch der Bürgermeister von Zürich und der Stadtschreiber, als Abgesandte des Rates der Stadt Zürich, waren da unterwegs. Begleitet waren die Geistlichen von 300 Bewaffneten, die ihnen durch die katholischen Gegenden Schutz angedeihen sollten. Den die Päpstlichen haben verlauten lassen: „Wenn dieses Wild das Land durchziehe, müsse man es jagen, totschlagen oder einsperren“. In Zofingen wurde dieses Zürchergeleit dann vom Bernerehrengeleit übernommen, das der Rat von Bern dorthin entgegengesandt hatte. Warum der Berner Disputation so grosse Bedeutung zugemessen wurde ist leicht zu verstehen. Denn wenn sich Bern entschliessen konnte der Reformierten Sache beizutreten, dann war das ein grosser Schritt vorwärts. Bern war mit Abstand der mächtigste Schweizer Kanton, ein Militärstaat, um dessen Gunst sich sogar auswärtige Regierungen bemühten. Aber auch im Kanton Bern selbst sollte das Religionsgespräch der bisherigen Unentschiedenheit ein Ende bereiten. Nach einer zündenden Predigt von Zwingli am 2. Sonntag der Disputation, am 19. Januar, gegen die Messe wurde vom Rat der Stadt Bern nach der Beendigung der Disputation die Abschaffung der Messe verfügt und bekannt gegeben jedermann könne von den Messaltären die von ihm gestifteten Zierarten zurücknehmen. Alsbald ging das Volk an die Zerstörung der Heiligenbilder und Altäre, deren es nicht weniger als 25 gab.”
Das Jüngste Gericht über dem Haupteingang entging der Zerstörungswut einzig allein deswegen, weil es erst kurz vor der Disputation fertig gestellt wurde und noch nicht alle Rechnungen bezahlt waren!
„Nach vielen Gesprächen und Diskussionen entschied sich der Berner Rat am 27. Januar die Reformation anzunehmen. Am 17. Februar forderte der Rat alle Gemeinden des Landes zu einer Zusammenkunft auf den kommenden Sonntag. Zu dieser Kirchgemeindeversammlung erschien das ganze Volk. Die Ratsboten verlasen das Reformationsedikt und forderten dann die Anwesenden auf, je nachdem sie es annehmen wollten oder nicht, dazubleiben oder hinauszugehen. Nur wenige verliessen die Kirche, die nun reformiert war! Komtur Schmid aus Küssnacht predigte auch über das Abendmahl. Er sagt: „Glauben und Vertrauen soll der Christ noch bevor er zum Tisch des Herrn sich naht und alsdann soll er auch mit andern hinzutreten um da mit ihnen zu bezeugen, dass er ein solcher christlicher Bruder sei welcher sich auch vertröste auf den Tod Jesus Christi; dass er ein Todfeind sei aller Sünden und Laster, dieweil Christus um der Sünden willen gestorben sei, und dass er voll Liebe sei gegen den Nächsten, wie Christus gegen ihn. Wo aber einer in Wahrheit nicht so gesinnet wäre, jedoch durch den Genuss des heiligen Abendmahls solches bezeugte, so würde er die Welt betrügen und Gott den Herrn anlügen und sich so schuldig machen am Tod des Herrn und die Verdammnis ernten, wie Paulus es bezeugt. Denn durch den Genuss des Brotes des Herrn verpflichtet er sich heiliger, ein solcher Christ sein zu wollen, als wenn er es der Welt mit einem Eide schwört. Darum ermahnt Paulus einen jeden, indem er spricht: Der Mensch prüfe aber sich selbst und also esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch! Wo wir nun das Abendmahl des Herrn recht feiern und halten würden, wäre es das heilsamste Ding für die ganze Christenheit und am zuträglichsten der Gemeinde Gottes; denn dadurch würde ein rechtschaffenes christliches Volk gebildet, das alle Laster hasste; wo es aber missbraucht wird, gereicht es zum grössten Schaden und ist das schädlichste Gift unter den Christen, in dem einer durch die Teilnahme am heiligen Abendmahl sich für einen frommen christlichen Bruder ausgibt, während er es im Herzen nicht ist.“Diese Auffassung vom heiligen Abendmahl ist leider in der reformierten Kirche nicht zur Geltung gelangt, sonst hätte man nicht bald darauf die Leute gezwungen, ganz abgesehen von ihrer Gesinnung, am Tisch des Herrn teilzunehmen. Die von diesem Reformationsprediger vertretenen Grundsätze sind ganz dieselben, wie sie dann später von den Gründern der freien Gemeinden betont worden sind.”
Und in der Tat war die Abendsmahlpraxis der Landeskirche ein wesentlicher Punkt bei Karl von Rodt sich von der Landeskirche abzuwenden. In der Biographie „Einiges aus dem Leben und Wirken des Herrn Carl von Rodt von Iselin von 1862“ ist die Anmerkung zu finden:
„In Thun machte er auch allerlei Beobachtungen die nicht wenig dazu beitrugen, ihm die Augen über die schriftwidrige Verwaltung des Abendmahls in der Staatskirche zu öffnen. So musste er zum Beispiel mit Soldaten zum Abendmahl gehen, die in der Nacht vorher vor seinen Augen Gräuel verübt hatten, die man nicht nennen darf, sowie er in Bern öffentliche Dirnen zur Kommunion gehen sah.“
In der gängigen Praxis der damaligen Landeskirche durfte das Abendmahl nur von ordinierten Pfarrern ausgegeben werden. Einmal im Monat war es Pflicht daran teilzunehmen. Wichtige Erlasse und Ankündigungen der Regierung wurden anlässlich der Feier bekannt gegeben. Ein Ausscheren aus der Kirche wurde daher von der Regierung auf das schärfste verfolgt. Das mussten die Täufer erleben und auch die Gründer der Eglise de Dieu. Die Gründungsmitglieder sagten bei den Verhören mit der Berner Regierung (1829) aus, dass sie schon seit einiger Zeit kein Abendmahl in der vaterländischen Kirche eingenommen hätten. Das war eine krasse Pflichtverletzung und wurde dementsprechend hart verurteilt: Alle Berner Glieder wurden in ihre Heimat- und Bürgergemeinden ausgewiesen, Ausserkantonale wurden aus dem Kanton abgeschoben. Die adeligen Frauen waren Burger der Stadt Bern und konnten daher nicht ausgewiesen werden. Sie wurden kurzerhand unter Hausarrest gestellt. Karl von Rodt aber wurde in das für Staatsverbrecher bestimmte Gefängnis abgeführt und nach 4 Wochen auf unbestimmte Zeit des Landes verwiesen …
Das Evangelium der Reformation am Berner Religionsgespräch vom 7. bis 20.01.1528
Das von Schlachter im November 1907 im Palmensaal (heute Bovetsaal) vorgetragene Referat liegt schriftlich vor. Wer an der Schrift Interesse hat, soll sich bei mir melden.
Hans-Ueli Moser